Das fortwährende Suchen ist ein Kernelement der Sammlerpersönlichkeit. Psychoanalytiker vermuten hinter dieser Tatsache tiefer liegende Wurzeln, interpretieren dieses nachhaltige Verhalten als eine Neigung, die aus einer nicht sofort erkennbaren Erinnerung an Entbehrung, Verlust oder Verletzung und einem sich daraus ergebenden Verlangen nach Ersatz herrührt.
Nun, Hans Peter Wertitsch, geboren 1939 in Wien, gehörte zu jener Generation, deren erste Eindrücke auf dieser Welt durch Kriegsgeschehen geprägt war. Was eine entbehrungsreiche Kindheit und Jugend, wie sie damals viele zu erleiden hatten, jedoch entscheidend verschärfte, war eine angeborene Schwerhörigkeit, auf die sowohl Pädagogen wie Mitschüler gehässig reagierten. In eine Sonderschule abgeschoben, sollte sich das Schicksal des jungen Mannes mit einem Besuch im Wiener Musikverein wenden. Im Rahmen seiner beschränkten Hörmöglichkeiten entdeckte HPW die transzendentale Kraft der ernsten Musik. Schubert, Mozart und Beethoven trugen den Jungen aus den beengten Verhältnissen eines Schlosserlehrlings in lichte Höhen, in ein von den Musen bevölkertes Arkadien. Musik wurde zu Tröstung und Seligkeit, war gelebter Schmerz und gelebte Freude zugleich.
Schöpferisch war Hans P. Wertitsch auch im realen Leben. Ein Seminar für soziale Berufe, die Externisten-Matura im Realgymnasium und nebenberufliche Studien an der Philosophischen Fakultät (Musik- und Theaterwissenschaften), an der Juridischen Fakultät sowie an der Hochschule für Welthandel, wurden zur Basis vielfältiger, sehr erfolgreicher Betätigung in der Wirtschaft. Seit 1969 als selbständiger Immobilienverwalter tätig, lockte es ihn aber stets ins Reich der Künste. HPW krönte seine bereits 1960 begonnene musikalische Ausbildung am Konservatorium der Stadt Wien mit abschließenden Studien in Orchestrierung an der Wiener Hochschule für Musik. Als Liebhaber zeitgenössischer bildender Kunst gründete der Vielbegabte eine Kunstgalerie "Wertgalerie" und komponierte überdies Musikwerke, welche in Mexiko, den USA und Österreich aufgeführt wurden. Darüber hinaus vergab er Kompositionsaufträge u. a. an Gottfried von Einem, Otto Schneider und Herbert Lauermann und engagierte sich als Produzent und Drehbuchautor bei verschiedenen Filmprojekten.
Hans Peter Wertitsch war ein Komponist im vollsten Wortsinn. Insbesondere als Sammler von Autographen war er ein passionierter Zusammenfüger, der in alle Welt zerstreute Handschriften österreichischer Tondichter mit großer Liebe und Sachkenntnis, sowie hohem finanziellen Einsatz rückholte, um sie der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek und anderen österreichischen Stiftungen der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Mag für die meisten Sammler gelten, dass "Sammeln eine in hohem Maße persönliche und zumeist einsame Angelegenheit ist" (Walter Benjamin), für HPW wurde seine Autographensammelleidenschaft ein Tor zur Welt. Stets wollte er seine affektiven Erlebnisse mit Schönheit und Macht der Musik kommunizieren. Mit sehr viel Verve und noch mehr List überwand er finanzielle Hürden am internationalen Autographenmarkt ebenso wie sämtliche bürokratischen Obstakel, die ihm vom "Musikland Österreich" in den Weg gelegt wurden.
HPW, der früh erkannte, dass "dem Noten-Autograph, als Dokument des im Geistigen verlaufenden Schöpfungsvorgangs, quasi als dessen Materialisation, der größte kulturelle Stellenwert zukommt", war bestrebt, die Versäumnisse des Staates im Bereich der Bewahrung musikhistorisch bedeutsamer Exponate mit aller Kraft zu kompensieren. So war der erfolgreiche Unternehmer nicht nur Stammgast an allen internationalen Auktionshäusern, die Autographen feilboten, vielmehr wusste er sich einen derartig einmaligen Ruf aufzubauen, der viele Anbieter dazu brachte, dem leidenschaftlichen Sammler aus Wien ihre wertvollsten Autographen bereits im Vorfeld anzubieten. Über die Jahre kam der enthusiastische Schubert-Verehrer zu einer imposanten Kollektion, die keinen Vergleich mit großen Sammlungen der Vergangenheit von Aloys Fuchs über Felix Mendelssohn bis Nikolaus Dumba und Stefan Zweig zu scheuen braucht. So umfassen die der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek überantworteten Schätze Autographen u.a. von Beethoven, Mozart, Schubert, Brahms, Liszt, Chopin, Haydn, Wagner, Mahler und anderen etablierten Klassikern, aber auch Handschriften moderner Komponisten wie Darius Milhaud, Roman Haubenstock-Ramati, Paul Hindemith, Gottfried von Einem und Arnold Schönberg. Das auf Anregung durch Hans Peter Wertitsch 1989 in Wien ausgerichtete internationale Symposion zum Thema "Musikautographe" führte zu einer sehr instruktiven Publikation, die alle Gesichtspunkte und Problematiken des Themas fokussiert.
Im Bewusstsein der Rolle, die Musik als Basis von Bildung und Geisteskultur in der Menschwerdung spielt, suchte Hans Peter Wertitsch trotz häufiger innerer Distanz zu den Institutionen ein partnerschaftliches Verhältnis mit den öffentlichen Stellen. Dennoch prangerte er stets die schlechten Verhältnisse an, in denen die musikalische Ausbildung auf allen Ebenen im "Musikland Österreich" ihr Auskommen fristen muss. Mit leidenschaftlichem Mäzenatentum und großherzigen Schenkungen versuchte HPW den Tendenzen eines Zeitgeistes entgegenzuwirken, der nur mehr an glänzenden Oberflächen und Gefühlssimulationen interessiert zu sein scheint. Vor allem in Schuberts Musik, die noch eine Verbindung zu grundlegenden emotionalen Impulsen herstellen kann, fand HPW eine ideelle Heimat, die er mit möglichst vielen Menschen teilen wollte. Musik war für ihn keine Selbsterregungskunst der Affekte, sondern die wahre Welt. "Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum", befand dereinst der Philosoph Friedrich Nietzsche. In diesem Sinne war Hans Peter Wertitsch ein unermüdlicher Wahrheitssucher, dem es ein Anliegen war, die Magie der Musik mit möglichst vielen seiner Mitmenschen zu teilen. Die Früchte dieser Grundhaltung werden noch viele künftige Generationen ernten können.