Im Schlichtungsstellenverfahren werden häufig pauschale Schadenersatzforderungen beziehungsweise sonstige Einwendungen geltend gemacht und ein unter Umständen allfällig zu Recht bestehender Rückzahlungsanspruch kompensando eingewendet. Die Schlichtungsstelle beziehungsweise in der Folge das Außerstreitgericht sind im Falle der Abziehung zu Gericht gemäß § 40 MRG nicht gehalten, ein gesondertes Verfahren über die Berechtigung der Kompensationsforderung/Einwendung zu führen. Konsequenz der erhobenen Kompensandoforderung ist zunächst das Vermeiden eines Rückzahlungstitels gemäß § 37 Abs 4 MRG, der im Sinne des § 1 EO einen sofort exekutierbaren Exekutionstitel darstellt.
Der im Schlichtungsstellenverfahren zwar inhaltlich/materiell erfolgreiche, jedoch im Anspruchserhalt vorerst erfolglose Mieter/Antragsteller ist nun - wenn er aufgrund der Schlichtungsstellenentscheidung einen Rückzahlungsanspruch hat - der durch die Kompensandoforderung vereitelt wurde - gezwungen nach Abwägung ein bis dato ohne Kostenfolgen (bis 01.01.2005), nunmehr ein mit Kostenrisiko behaftetes Verfahren auf dem streitigen Rechtsweg mit Klage gegen den "grundsätzlich" zur Rückzahlung verpflichteten Vermieter/Antragsgegner anzustrengen.
Während auf der Seite des im gerichtlichen Verfahrens anspruchsdurchsetzenden Mieters vor allem das Kostenrisiko im Vordergrund steht, vertrauen zahlreiche Vermieter/Antragsgegner auf die im Schlichtungsstellenverfahren kompensando eingewendeten Gegenforderungen, ohne dabei die strengen Voraussetzungen des § 1111 ABGB näher zu beachten.
Die im Streitverfahren angerufenen Gerichte kommen aufgrund des durchgeführten, gerichtlichen Verfahrens, welches von dem im Schlichtungsstellenverfahren obsiegenden Mieter/Antragsteller bewusst oder unbewusst - das sei an dieser Stelle dahingestellt - oft erst nach Ablauf eines Jahres nach Rückstellung des Bestandobjektes eingeleitet wird, zur Rechtsansicht, dass die einjährige Präklusivfrist des § 1111 ABGB verstrichen sei und der im Schlichtungsstellenverfahren "erfolgreiche" Vermieter/Antragsgegner nunmehr Beklagte im Sinne der ständigen Rechtsprechung keine bestimmten und bezifferten Ansprüche aus ebenso bestimmten Schäden wirksam eingewendet habe.
Präklusivfrist des § 1111 ABGB:
§ 1111 ABGB regelt den Ersatzanspruch des Vermieters gegen den Mieter und zwar sowohl den Umfang, welcher durch Parteienvereinbarung im Rahmen des § 1009 ABGB erweitert oder auch beschränkt werden kann, als auch die gesetzlichen Beschränkungen bei der Geltendmachung.
Normzweck des § 1111 ABGB ist, dass die gegenseitigen Ansprüche der Vertragsparteien nach Rückstellung des Bestandobjektes rasch und endgültig geklärt werden.
Nach nunmehr einhelliger Rechtsprechung handelt es sich bei der Bestimmung des § 1111 ABGB um keine Verjährungsfrist, sondern um eine von Amts wegen wahrzunehmende Präklusivfrist, nach deren Ablauf das Recht mit der Wirkung erloschen ist, dass auch keine Naturalobligation zurückbleibt.
Geltungsbereich des § 1111 ABGB:
Von der Präklusivfrist des § 1111 ABGB sind auf Seiten des Vermieters folgende Ansprüche
umfasst.
Ausnahmen der Präklusivfrist des § 1111 ABGB:
Die Einjahresfrist findet keine Anwendung auf Schadenersatzansprüche, die nicht aus der Beschädigung der Bestandsache, sondern aus der Verletzung sonstiger Vertragspflichten abgeleitet werden.
Grundsätzlich ist der Schadenersatzanspruch erst nach Rückstellung der Bestandsache geltend zu machen, wobei dieser unabhängig von der Behebung des Schadens ist.
Die Judikatur zählt beispielsweise auf:
Verstreichen der Jahresfrist:
Das Verstreichen der Einjahresfrist ist dann unschädlich, wenn der Antragsgegner/Vermieter seinen Anspruch einwendungsweise oder im Aufrechnungsweg geltend gemacht hat.
Trotz des Wortlautes "gerichtlich fordern" kann sohin auch durch außergerichtliche Aufrechnung mit den zu diesem Zeitpunkt noch nicht verfristeten Schadenersatzansprüchen eine Schuldentilgung herbeigeführt werden.
Die einjährige Frist zur Geltendmachung in Form einer Aufrechnungseinrede beginnt mit dem Zeitpunkt der
Zu beachten ist jedoch, dass durch ein deklaratives Anerkenntnis dem Grunde nach die Präklusivfrist des § 1111 ABGB nicht unterbrochen wird.
Voraussetzungen:
Die Aufrechnungseinrede im Prozess ist der Sachantrag des Antragsgegners/Vermieters, mit dem er die Entscheidung durch Urteil begehrt, dass die Klagsforderung durch Aufrechnung mit einer dem Antragsgegner/Beklagten gegen den Kläger/Antragsteller zustehenden Gegenforderung ganz oder teilweise erloschen ist und das Klagebegehren in diesem Umfang abzuweisen ist.
Voraussetzung für die Aufrechnungseinrede ist die materiellrechtliche Zulässigkeit der Aufrechnung, welche entweder durch Vertrag oder durch einseitige Aufrechnungserklärung erfolgen kann. Nach herrschender österreichischer Lehre und einheitlicher Rechtsprechung bedarf die Kompensation einer Aufrechnungserklärung.
Trotz prozessualer Unzulässigkeit - vergleiche auch die Lehre vom Doppeltatbestand - entfaltet die Aufrechnungseinrede außerhalb eines laufenden Rechtsstreites oder als rechtzeitig vorgetragene anspruchshemmende Sacheinrede ihre materiellrechtliche Wirkung.
Die Entscheidung über die Aufrechnungseinrede erwächst in Rechtskraft und ist insoweit eigener Streit - und Urteilsgegenstand.
Wirkungen der Aufrechnung:
Durch eine Aufrechnungseinrede ist die Präklusivfrist des § 1111 ABGB grundsätzlich unterbrochen. Keine Unterbrechungswirkung kommt aber Schritten zu, welche die Geltendmachung des Rechtes nur vorbereiten. Erfolgt eine Aufrechnungseinrede in einem Schriftsatz, so richtet sich der Zeitpunkt ihrer Wirkung nach dem Vortrag in der mündlichen Verhandlung.
Hat die Aufrechnungseinwendung im Vorprozess nicht zum Erlöschen der Gegenforderung geführt, bleibt die Fallfrist nach Prozessende in sinngemäßer Anwendung des § 1497 ABGB, also bei Klagen binnen angemessener Frist von 5 Wochen bzw. 7 Wochen gewahrt.
Solange der Vermieter/Bestandgeber ein vertragliches Pfand in Händen hat, beispielsweise ein Sparbuch oder eine Barkaution, kann die Frist des § 1111 ABGB nicht ablaufen, da das Pfandrecht in Analogie des § 1483 ABGB nicht verjährt; dies gilt jedoch ausdrücklich nicht für eine Bankgarantie.
Ausgeschlossenheit der Aufrechnung:
Ausgeschlossen ist die Aufrechnung nach herrschende Lehre im Falle der Unzulässigkeit des Rechtsweges, sofern die Gegenforderung nicht anerkannt und rechtskräftig festgestellt ist.
Dies gilt für den Fall, dass die Gegenforderung in die Zuständigkeit
fällt.
Begründet wird dies im Falle des hier gegenständlich maßgeblichen Außerstreitverfahrens von Lehre und Rechtsprechung damit, dass Gegenforderungen, die nicht auf den Rechtsweg gehören, zur Aufrechnung im Prozess nicht geeignet sind. In diesem Sinne kann daher der Beklagte die behauptete Gegenforderung in einem streitigen Verfahren nicht einwenden, wenn die Gegenforderung noch nicht rechtskräftig im Verfahren außer Streit zugesprochen worden ist.
Rechtsschutzlücke:
Es handelt sich jedoch bei der im Schlichtungsstellenverfahren kompensabel eingewendeten Gegenforderung nicht um einen Anspruch der - mangles Zuständigkeit - im Außerstreitverfahren, zuzusprechen ist, sondern um einen Anspruch der im streitigen Rechtsweg durchzusetzen ist.
Dieser Anspruch unterliegt grundsätzlich - wie oben ausgeführt - der amtswegig wahrzunehmenden Präklusivfrist, welche unter bestimmten Voraussetzungen verlängerbar ist.
Diese stellen jedoch an den für den mit der Schlichtungsstellenentscheidung "zufriedenen" Antragsgegner/Vermieter die aktive Verpflichtung, entweder einen Prozess binnen Jahresfrist nach Übergabe anzustrengen oder ebenfalls innerhalb der Jahresfrist in einer entsprechend qualifizierten, konkretisierten Form, zu der das Schlichtungsstellenverfahren mit Ausnahme eines Schriftsatzes in der Regel keinen Platz lässt, außergerichtlich die Aufrechnung zu erklären und die Schuldtilgung herbeizuführen.
Der säumige, scheinbar "obsiegende" Antragsgegner/Vermieter wird ansonsten nach der bisherigen Rechtsprechung mangels fristwahrender Erhebung seiner Ansprüche in einem vom Mieter nach Ablauf der Jahresfrist angestrengten Prozess mit seiner Kompensandoforderung, mit einigen bereits oben angeführten Ausnahmen, unterliegen.
Das Auseinanderfallen der Prozesserklärungen im außerstreitigen/streitigen Verfahren:
Für die Aufrechnungseinrede müssen die positiven Prozessvoraussetzungen vorliegen und die negativen Prozessvoraussetzungen fehlen, ausgenommen davon sind die prorogable und unprorogable sachliche Unzuständigkeit.
Für die meritorische Erledigung einer aufrechnungsweise geltend gemachten Gegenforderung ist es daher zwar erforderlich, dass für die Gegenforderung der Rechtsweg offen steht, es muss aber nicht auch die sachliche Zuständigkeit des Prozessgerichtes gegeben sein. Eine bloße Unzuständigkeit des Prozessgerichtes steht somit der Aufrechnung nicht im Wege.
Unter Rücksichtnahme auf die bisherige Rechtsprechung stellt sich das Paradoxon, dass der Mieter/Antragsteller und in der Folge der Kläger im streitigen Verfahren obsiegt, die Gegenforderung des Antragsgegners/Vermieters wegen der Präklusivfrist nicht berücksichtigt wird. Die beklagte Partei konnte ihre Forderung im Außerstreitverfahren nicht durchsetzen, da diese dort nur zu einer "Aufrechnung" beziehungsweise zur Vermeidung eines Exekutionstitels geführt hat und läuft nunmehr die beklagte Partei Gefahr, selbst zahlen zu müssen, wobei diese oft nur aus wirtschaftlichen Gründen z.B. aufgrund der Vermögenslosigkeit des Klägers keinen Prozess angestrengt hat und daher eine Befriedigung des Beklagten/Vermieters/Antragsgegners nicht eintritt.
Berücksichtigt man, dass selbst eine prozessual unzulässige Aufrechnungseinrede materiell-rechtliche Wirkung äußert, wenn nur die Aufrechnungsvoraussetzungen geben sind, bedeutet die Nichtberücksichtigung der materiellrechtlich wirksamen Aufrechnungserklärung ein Auseinanderfallen der materiellen Rechtslage und des Prozessergebnisses.
Nur am Rande sei festgehalten, dass nach herrschender Auffassung die Liquidität der Gegenforderung kein Aufrechnungserfordernis ist.
Schutzzweck der kompensablen Gegenforderung:
Die Prozesseinrede im Verfahren vor der Schlichtungsstelle beziehungsweise im Außerstreitverfahren bei Gericht führt dazu, dass ein Ausspruch nach § 37 Abs 4 MRG unterbleibt und so kein Exekutionstitel im Sinne des § 1 EO entsteht.
Das Außerstreitverfahren ist grundsätzlich für die inhaltliche/materiellrechtliche Überprüfung der eingewendeten Gegenforderung nicht zuständig.
Im Sinne einer vorzunehmenden Interessensabwägung wäre jedoch folgender Grundsatz zu beachten, dass je präziser eine Gegenforderung erhoben wird und einem Anspruch seitens des Antragstellers kompensabel durch den Antragsgegner/Vermieter eingewendet wird, desto eher eine Perpetuierung der Einrede in einem nachfolgenden Folgeprozess im Streitverfahren erfolgt. Anderenfalls würde es sonst grundsätzlich einen Wertungswiderspruch darstellen, das der Schutzzweck des MRG zugunsten des Mieters/Antragstellers - welcher letztlich das Übergewicht des Mieters normiert - auch in einem allfälligen Streitverfahren perpetuiert wäre.
Zu beachten ist der Umstand, dass es der Antragsteller/die klagende Partei durch die bisherige Rechtsprechung in der Hand hat nach Ablauf der Frist eines Jahres aufgrund des Rückzahlungstitels des Schlichtungsstellenverfahrens diesen Anspruch klagsweise geltend zu machen und wird so der Antragsgegner/die beklagte Partei in den Verteidigungsrechten verkürzt.
Verteidigungscharakter:
Schutzzweck der Norm des § 1111 ABGB ist - wie bereits oben angemerkt - die gegenseitigen Ansprüche der Vertragspartner nach Rückstellung des Bestandobjektes einer möglichst raschen endgültigen Klärung zuzuführen.
Aus dem Verteidigungscharakter der Aufrechnungseinrede sowie dem Schutzzweck der Aufrechnungseinrede, nur die Grenzen der Rechtszulässigkeit zu wahren, folgt, dass die Aufrechnung auch bei Zuständigkeit des Außerstreitgerichtes oder - wie im gegenständlichen Fall - der Schlichtungsstelle und des für dieses Verfahren in der Sache selbst nicht zuständigen Außerstreitgerichtes, zulässig und rechtswirksam ist, und sich die Rechtskraftwirkung auch auf die Folgeprozesse erstrecken muss.
Erstreckung der Rechtskraftwirkung:
Der Antragsgegner/die beklagte Partei der seiner/ihrer Schadenersatzansprüche im Sinne des § 1111 ABGB sohin schon durch aufrechenbare Einwendungen entsprechend der Gegenforderungen binnen der Fallfrist eines Jahres nach Rückstellung des Bestandobjektes eingewendet hat, führt durch seine Prozesshandlung zum Erlöschen der Forderung des Antragstellers/der klagenden Partei. Die Prozesserklärung ist Bestandteil des Vorverfahrens und erstreckt sich die Rechtskraftwirkung auch auf den Folgeprozess aufgrund der Parteienidentität.
Im Sinne der Lehre vom Doppeltatbestand erstreckt sich die Rechtskraftwirkung der Prozesserklärung des Antragsgegners/beklagten Partei nicht nur auf das durchgeführte Schlichtungsstellenverfahren, sondern durchbricht auch die Schranke des § 1111 ABGB, um den Rechtsschutzgedanken und den Verteidigungscharakter der Aufrechnungseinrede in einem nachfolgenden streitigen Verfahren zu perpetuieren.
Ausblick:
Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung wird der vorsichtige Vermieter/Antragsgegner nach wie vor innerhalb eines Jahres nach Rückstellung der Bestandsache entweder eine präzise, konkretisierte Gegenforderung durch Vorlage eines Kostenvoranschlages sowie einer Rechnung in Schriftform erheben. Diese Aufrechnungserklärung, welche zur Schuldtilgung führt, kann entweder in einem Schriftsatz im Schlichtungsstellenverfahren oder außergerichtlich in Form eines eingeschriebenen Briefes erfolgen. Anderenfalls wird er, ausgehend von der Präklusivfrist - trotz Kostenrisiko und Gefahr, allenfalls von dem bis dato säumigen Mieter/Antragsteller nichts zu erhalten - selbst seine Ansprüche mit Klage geltend machen.
Dass dieser Mehraufwand beziehungsweise die aktive Handlungspflicht vom Gesetzgeber auch unter Berücksichtigung des Schutzgedankens des Mietrechts nicht gewollt ist, liegt bei verfahrensökonomischer Betrachtungsweise auf der Hand.
Ausgehend vom Schutzzweck der Norm des § 1111 ABGB kann daher bei verständiger Würdigung der Argumente, dieser rechtlich und im Sinne der Prozess- und Verfahrensökonomie nur dahingehend verstanden werden, dass durch eine konkret eingewendete kompensable Gegenforderung im Schlichtungsstellenverfahren diese Prozesserklärung jedenfalls in einem nachfolgenden streitigen Verfahren auf Rückzahlung des durch die Entscheidung der Schlichtungsstelle festgesetzten Betrages bei Parteiidentität perpetuiert wird und die Schranke der Präklusivfrist des § 1111 ABGB durchbrochen wird.
Dr. Eike Lindinger, DR. WITT & PARTNER RECHTSANWÄLTE
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