HPW
Wir bewahren Werte®

IN MEMORIAM

EIN LEBEN FÜR DIE MUSIK

Komm. Rat Prof. Hans P. Wertitsch
(1939-1996)

Das fortwährende Suchen ist ein Kern­e­le­ment der Sammlerpersönlichkeit. Psy­cho­a­na­ly­tik­er ver­muten hinter dieser Tatsache tiefer liegende Wur­zeln, interpretieren dieses nachhaltige Ver­hal­ten als eine Neigung, die aus einer nicht so­fort erkennbaren Erinnerung an Entbehrung, Ver­lust oder Verletzung und einem sich daraus er­ge­ben­den Verlangen nach Ersatz her­rührt.

Nun, Hans Peter Wertitsch, geboren 1939 in Wien, gehörte zu jener Ge­ne­ra­tion, deren erste Ein­drücke auf dieser Welt durch Kriegs­ge­sche­hen geprägt war. Was eine entbehrungsreiche Kindheit und Jugend, wie sie damals viele zu erleiden hatten, jedoch entscheidend verschärfte, war eine angeborene Schwer­hö­rig­keit, auf die sowohl Pädagogen wie Mitschüler ge­häs­sig re­a­gier­ten. In eine Son­der­schu­le abgeschoben, sollte sich das Schick­sal des jungen Mannes mit einem Besuch im Wiener Musikverein wenden. Im Rah­men seiner beschränkten Hör­mö­g­lich­kei­ten entdeckte HPW die trans­zen­den­tale Kraft der ernsten Musik. Schubert, Mozart und Beethoven trugen den Jungen aus den beengten Verhältnissen eines Schlosserlehrlings in lichte Höhen, in ein von den Musen bevölkertes Arkadien. Musik wurde zu Tröstung und Seligkeit, war gelebter Schmerz und gelebte Freude zugleich.

Auszüge aus dem Musikfilm
"Le sacre de la lune".
Drehbuch und Musik von HPW.

Schöpferisch war Hans P. Wertitsch auch im re­al­en Leben. Ein Seminar für soziale Berufe, die Ex­ter­nisten-Matura im Realgymnasium und ne­ben­be­ruf­liche Studien an der Phi­lo­so­phi­schen Fa­kul­tät (Musik- und The­a­ter­wis­sen­schaf­ten), an der Juridischen Fakultät sowie an der Hoch­schu­le für Welt­han­del, wurden zur Basis viel­fäl­tiger, sehr er­folg­rei­cher Be­tä­ti­gung in der Wirt­schaft. Seit 1969 als selb­ständiger Im­mo­bi­li­en­ver­wal­ter tätig, lock­te es ihn aber stets ins Reich der Künste. HPW krönte seine bereits 1960 be­gon­ne­ne mu­si­ka­li­sche Aus­bil­dung am Konservatorium der Stadt Wien mit ab­schließ­en­den Studien in Or­ches­t­rie­rung an der Wiener Hochschule für Musik. Als Liebhaber zeit­ge­nös­sischer bildender Kunst grün­de­te der Vielbegabte eine Kunstgalerie "Wertgalerie" und komponierte über­dies Musikwerke, welche in Mexiko, den USA und Österreich aufgeführt wur­den. Darüber hinaus vergab er Kom­po­si­tions­auf­trä­ge u. a. an Gottfried von Einem, Otto Schneider und Herbert Lauer­mann und en­ga­gier­te sich als Pro­du­zent und Drehbuchautor bei ver­schie­de­nen Filmprojekten.

Hans Peter Wertitsch war ein Komponist im vollsten Wortsinn. Insbesondere als Sammler von Autographen war er ein passionierter Zusammenfüger, der in alle Welt zerstreute Handschriften österreichischer Tondichter mit großer Liebe und Sachkenntnis, sowie hohem finanziellen Einsatz rückholte, um sie der Mu­sik­sam­mlung der Österreichischen Nationalbibliothek und anderen österreichischen Stiftungen der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Mag für die meisten Sammler gelten, dass "Sammeln eine in hohem Maße per­sön­liche und zumeist einsame Angelegenheit ist" (Walter Benjamin), für HPW wurde seine Au­to­gra­phen­sam­mel­lei­den­schaft ein Tor zur Welt. Stets wollte er seine affektiven Erlebnisse mit Schönheit und Macht der Musik kom­mu­ni­zie­ren. Mit sehr viel Verve und noch mehr List überwand er finanzielle Hürden am internationalen Autographenmarkt ebenso wie sämtliche bürokratischen Obstakel, die ihm vom "Musikland Österreich" in den Weg gelegt wurden.

HPW, der früh erkannte, dass "dem Noten-Autograph, als Dokument des im Geistigen verlaufenden Schöpfungsvorgangs, quasi als dessen Ma­te­ri­a­li­sa­tion, der größte kulturelle Stellenwert zukommt", war bestrebt, die Ver­säum­nis­se des Staates im Bereich der Bewahrung musikhistorisch bedeutsamer Exponate mit aller Kraft zu kompensieren. So war der erfolgreiche Un­ter­neh­mer nicht nur Stammgast an allen internationalen Auktionshäusern, die Au­to­gra­phen feilboten, vielmehr wusste er sich einen derartig einmaligen Ruf aufzubauen, der viele Anbieter dazu brachte, dem leidenschaftlichen Sam­mler aus Wien ihre wertvollsten Autographen bereits im Vorfeld anzubieten. Über die Jahre kam der enthusiastische Schubert-Verehrer zu einer im­po­san­ten Kollektion, die keinen Vergleich mit großen Sammlungen der Ver­gan­gen­heit von Aloys Fuchs über Felix Mendelssohn bis Nikolaus Dumba und Stefan Zweig zu scheuen braucht. So umfassen die der Musiksammlung der Ös­ter­reich­ischen Nationalbibliothek überantworteten Schätze Autographen u.a. von Beethoven, Mozart, Schubert, Brahms, Liszt, Chopin, Haydn, Wagner, Mahler und anderen etablierten Klassikern, aber auch Hand­schrif­ten mo­der­ner Komponisten wie Darius Milhaud, Roman Haubenstock-Ramati, Paul Hindemith, Gottfried von Einem und Arnold Schönberg. Das auf Anregung durch Hans Peter Wertitsch 1989 in Wien ausgerichtete in­ter­na­ti­o­nale Sym­po­si­on zum Thema "Musikautographe" führte zu einer sehr in­struk­ti­ven Pu­bli­ka­tion, die alle Gesichtspunkte und Pro­blem­a­ti­ken des Themas fokussiert.

Im Bewusstsein der Rolle, die Musik als Basis von Bildung und Geisteskultur in der Menschwerdung spielt, suchte Hans Peter Wertitsch trotz häufiger innerer Distanz zu den Institutionen ein partnerschaftliches Verhältnis mit den öf­fent­li­chen Stellen. Dennoch prangerte er stets die schlechten Verhältnisse an, in denen die mu­si­ka­li­sche Ausbildung auf allen Ebenen im "Musikland Ös­ter­reich" ihr Auskommen fristen muss. Mit leidenschaftlichem Mäzenatentum und großherzigen Schenkungen versuchte HPW den Tendenzen eines Zeit­geist­es entgegenzuwirken, der nur mehr an glänzenden Oberflächen und Gefühlssimulationen interessiert zu sein scheint. Vor allem in Schuberts Musik, die noch eine Verbindung zu grundlegenden emotionalen Impulsen her­stel­len kann, fand HPW eine ideelle Heimat, die er mit möglichst vielen Men­schen teilen wollte. Musik war für ihn keine Selbst­er­re­gungs­kunst der Affekte, sondern die wahre Welt. "Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum", befand dereinst der Philosoph Friedrich Nietzsche. In diesem Sinne war Hans Peter Wertitsch ein unermüdlicher Wahrheitssucher, dem es ein Anliegen war, die Magie der Musik mit möglichst vielen seiner Mitmenschen zu teilen. Die Früch­te dieser Grundhaltung werden noch viele künftige Generationen ernten können.